gamescom 2012 – Zweiter Tag: Ausbruch aus der Routine

Ich spüre, es ist gut. Ich steige aus dem Zug und fühle mich wieder wie zu Hause. Ich versuche Worte zu finden, die beschreiben, was in mir gerade vorgeht, während ich mich dem Eingang nähere. Einmal die Treppe hoch, vorbei an den ganzen fleißigen Helfern, die dieses Ding hier ermöglichen. Freundliche Blicke. Prüfende Blicke. Heute schon wieder? So langsam sollte es in meinem Kopf rein, dass ich hier nicht unerwünscht bin. Ich drehe mich einmal um und knülle in Gedanken diesen kleinen Gnom zusammen, der sich seit dem ersten Tag in meinem Kopf versucht hat einzunisten. Ein beherzter Tritt vor meinem inneren Auge pfeffert dieses erbärmliche Etwas in die Luft, fällt die Treppe runter. Dann die andere Stimme in meinem Kopf, die „Critical Hit!“ brüllt und mir 20 Punkte für diesen fantastischen Treffer gutschreibt. Na also, warum nicht direkt so?
Ludo, ergo sum. Ich spiele, also bin ich.

Auch wenn es heute anders laufen sollte als sonst, das hier war auch mein Tag. Ich war hier, konnte nur hier sein und nirgendwo anders.





Diesen Teil der gamescom, der den meisten Besuchern vorenthalten bleibt, genieße ich jedes Mal auf’s Neue. Dieser Moment gehört uns. Uns, die wir vor den regulären Öffnungszeiten drin sind und „unverbrauchte“ Messeluft schnuppern dürfen. Einmal durchatmen und eine vage Vermutung wird schließlich zur endgültigen Gewissheit: ich bin hier zu Hause. Da ist diese vertraute Atmosphäre, etwas spezielles, magisches. Ich schaue mich in aller Ruhe um. Nur sehr wenige Leute sind außer mir da, geradezu gespenstisch stilles Treiben erfüllt die Umgebung. Reinigungskräfte, die noch vor dem Einlass für eine saubere Umgebung sorgen. Messepersonal, die nochmal überprüfen, ob alles in Ordnung ist. Hier und da noch ein paar letzte Handgriffe, ein letztes Briefing und dann geht es los. Die Spielestationen werden hochgefahren, die Monitore eingeschaltet. Hier und da einige dieser freundlichen Seelen vom Standpersonal, die selbst noch einige wenige Minuten dieser Stille genießen und das eine oder andere Spiel in aller Ruhe ausprobieren. Die Sicherheitskräfte überall lassen ahnen, was am Donnerstag für eine Menge an Menschen da gewesen sein muss. Absperrbänder, die so verteilt sind, dass man ein Muster zu erkennen glaubt. Ein Versuch der Kontrolle des Unvermeidbaren, dem Besucheransturm zu 10 Uhr früh.







Ich nutze die Zeit um mich umzusehen, hier und da noch ein paar Informationen zu sammeln. Den Stand von „The Secret World“ sollte ich trotzdem nicht entdecken. Eine erste kurze Niederlage, aber egal. Was für den Normalbesucher noch so spannend klingt, sehr früh rein zu können, hat jedoch seine Kehrseite. Die meisten der Stände fangen mit ihrem Programm erst zur regulären Zeit an, manche sogar noch später. Wie ein paar Eltern, die die Ungeduld und Neugier des Kindes in Zaum zu halten versuchen, machen viele Stände mir unmissverständlich klar, dass es jetzt noch nichts zu sehen gibt. Wir, ich, sind Eindringlinge, Voyeure, Ausgestoßene. Aber auch das ist eines der Gesichter der gamescom, das Gesicht, was sonst so gut wie niemand sieht. Die stille und dunkle Seite, wenn man so will.


Dieser Bus hat für längere Zeit mein Interesse geweckt. Wie in einem zunächst unüberschabaren Wirrwarr hatte ich ein Bild vor meinem inneren Auge, eine Menge an Menschen die diesen Bus mit dem „Borderlands 2“ beklebt, bedruckt, verziert. Gerade die Person, die über diesen Bus mit einem riesigen Klebebogen nach dem anderen geklettert sein muss, um ihn fachgerecht und mit Millimeterpräzision zu bekleben, damit daraus eine imposante Werbefläche wird. Ein ungeheurer Aufwand für ein fahrendes Stück Metall auf Rädern, ein Koloss der Kunst, der sich… scheisse verdammt, jetzt habe ich den Faden verloren. Meine Vorfreude auf das Spiel wird jedenfalls nicht von diesem Bus beeinflusst. Ich sollte meinen Weg fortsetzen.






Es ist immer noch still. Zu still. Einzeln tönt schon die Musik aus diversen Lautsprechern, Fernsehern, usw. Ein erster Vorgeschmack auf den Lärm, der später die Hallen sintflutartig einnehmen sollte. Ich begebe mich wieder zu Sony, in erster Linie um zu schauen, ob Tobias den Besucheransturm von Donnerstag ohne größere Komplikationen überlebt hat. Ich kann ihn nicht ausfindig machen, hoffentlich kein schlechtes Zeichen? Die große Spielwiese bietet viele Einblicke, schon wieder, lockt mich wieder, mich auf einen dieser urgemütlichen Sitzsäcken niederzulassen und eine, zwei, vier, fünfunzwanzig Runden PlayStation 3/Vita zu spielen, als würde mich der Rest der Messe nichts angehen. Als würde ein gigantisches Monstrum von selbst aus diesem Stand heraus erschaffen, ein Gigant, mit den Zeichen Quadrat, Dreieck, Kreis und X im Gesicht, seine beiden Hände über die Gebäude der Koelnmesse erhebend und jeweils einmal den Mittelfinger Richtung Nintendo Hauptquartier in Kyoto, Japan und einen Richtung Microsoft Game Studios in Redmond, USA zeigt. Die Botschaft könnte eindeutiger nicht sein. Microsoft und Nintendo bleiben fern und Sony macht mit seinem Stand in derselben Dimension wie die Jahre zuvor weiter. Wenn das kein Statement zum Fernbleiben der beiden Konsolenhersteller ist, dann weiss ich auch nicht mehr.


Ein kurzes Intermezzo am Stand von „League of Legends“, den ich zunächst nur auf Bitten eines Freundes aufgesucht habe, offerierte mir einige Einblicke in ein Spiel, das ich bisher aus Unkenntnis und Zeitmangel gemieden habe. Ein kurzes, aber herzlich freundliches Gespräch mit einem der Standcrew und ein paar Goodies für meinen Admin und meine TeamSpeak-Chaotentruppe später, verlasse ich diesen freundlichen Hort des Team-Gameplay und mache Platz für die Leute, die später diesen Stand unmissverständlich dominieren sollten. Hier, in dieser Halle würde heute im Laufe des Tages verdammt viel los sein, die eSports-Anhängerschaft hat ihren festen Platz auf der gamescom, nicht nur hier.





EA bietet weiterhin das gewohnte Bild, aber bigben hat mich erstaunt. Wer hätte geahnt, dass auf einigen Systemen Windows 7 eingesetzt wird? Da ich aber nicht nur zum gucken hier war, dachte ich mir mal, dass ich genausogut über meinen eigenen Schatten springen könnte, um „Call of Duty: Black Ops II“ eine ehrliche Chance zu geben. Nur um festzustellen, dass die Schlange schon so weit war, dass ich mindestens eine Stunde hätte warten müssen. Das war mir dann doch ein bisschen zu blöd, also bin ich wieder verschwunden, bevor noch Schlimmeres hätte passieren können. Was das auch immer gewesen wäre…



Wer mich kennt, kennt meine Abneigung gegen „World of Warcraft“, die aus einen Wust an Fehleindrücken, Beobachtungen von kompletter sozialer Verwahrlosung diverser Spieler und kompletter Unmotivation herrührt. Trotzdem musste ich mehr als einmal hinsehen. Kein Lego, aber das legoartige Pendant „MEGA BLOKS“ bietet mittlerweile Komplettsets zu „World of Warcraft“ an. Der Teil in mir, der von kleinauf mit Lego gespielt hat und damit großgeworden ist, empfindet tiefe Bewunderung für diese kleinen und klobigen Kunstwerke, der andere hat Mitleid mit den Geldbeuteln der potentiellen Käufer. Das hier gepaart mit gefüllten Portmonees und der entsprechenden Kundschaft ist nichts anderes als die sprichwortliche Lizenz zum Gelddrucken. Immerhin sind die Dinger hier mit Lego weitestgehend kompatibel.





Konami habe ich seine Sitzmöglichkeiten verziehen und konnte auch im höhergelegenen runden Teil „Metal Gear Rising: Revengeance“ anspielen, das mich auf Anhieb begeistert hat. Auch wenn ein Restzweifel bleibt. Bleiben muss. Ein Spiel, dass verschoben, verschoben, neu geplant, an einen anderen Entwickler übergeben und wieder verschoben wurde, erweckt in mir nicht gerade den größten Zuspruch an uneingeschränktem Vertrauen, den ich bis jetzt nur bei einer Spielreihe beibehalten habe (den Rollenspielen aus der Pokémon Spielereihe). Versteht mich nicht falsch, das Spiel macht echt Laune und ich habe bei einigen Sachen wie dem Zerteilen von teils riesigen Wassermelonen oder dem obligatorischen Pappkarton mit dem Schwert echt gelacht. Ich freue mich darauf, aber ich glaube nicht, dass das Spiel in der Fachpresse den größten Zuspruch einfahren wird. Eine Schande, wenn man bedenkt, dass inzwischen imemr mehr und mehr Entscheidungen bei Publishern und Entwicklern von einer Gesamtpunktewertung a’la Metacritic abhängt. Es dämmert mir langsam. Ich habe Spaß… aber im selben Moment bemitleide ich das Spiel und die Ambitionen, die dahinterstecken, weil es in nicht zu ferner Zeit auf einen Punktewert herunterreduziert wird. Ich muss mich ein wenig ablenken.










Ablenkung gibt es hier erstmal genug, die Besucher stürmen die Hallen und schon wenige Zeit später wurde wieder an allen Ecken und Enden gespielt, ausprobiert, gefachsimpelt und zelebriert, als ob diese gamescom die letzte wäre. Großzügig präparierte Stationen und Bühnenareale scharten die interessierten Besucher um sich. Die Magie der gamescom, da ist sie wieder. Unverkennbar, wie ein zu bunt lackiertes Pony, das durch ein Schuhgeschäft galloppiert. Jene einzigartige Magie, die entsteht, wenn viele Tausende Menschen an einem Ort aufeinandertreffen, die zumindest das eine gleiche Interesse haben. Es entsteht ein Konsens, eine stille, unausgesprochene Übereinkunft. Man geht durch die immer voller werdenden Hallen, schaut in die Gesichter und sieht sich eigentlich selbst. Selbstfindungstrip, nicht nur für mich, sondern für alle anderen auch.

Der Plan, den GuildWars 2 Stand zu einer Art Chill-Out-Lounge zu machen, ging seitens des Ausstelelrs voll auf. Es gab Sitzmöglichkeiten, die Möglichkeit sich mit den Ausstellern über das Spiel auszutauschen und kalte Getränke. Leider wurde der Stand stellenweise sehr, sehr voll. Ich ertappte mich, bei dem Versuch, von einer Ecke des Standes in die gegenüberliegende zu wechseln. Nach ca. 2 Minuten habe ich es nicht nur geschafft, den Stand zu durchqueren, sondern mir selbst und vermutlich bis zu vier anderen Personen unbeabsichtigt auf die Füße zu treten. An dieser Stelle nochmals meine Entschuldigung an die armen Seelen, deren Füße meinen Ambitionen schmerzhaft im Weg waren. Und das, obwohl es so gesehen nichts zu spielen gab, der Stand erfüllte so gesehen eigentlich nur den Zweck einer größeren Litfaßsäule. Wohlgemerkt eine Litfaßsäule, die rein zufällig über viele Sitzmöglichkeiten, eine Art „Springbrunnenbildschirm“, kalte Getränke, nettes Ambiente und jede Menge Platz für fast 50 Menschen bietet. Das ist interessant. Der EA-Stand bietet viele Spiele und sicherlich das größere Diskussionspotential, aber über die Stand zu GuildWars 2 könnte ich tagelang schreiben, ohne auch nur den Hauch einer Langeweile zu verspüren.


Der Trubel hier wurde langsam zuviel für mich. Ich spürte, wie mein Geist nach etwas anderem schrie. Spiele waren nicht genug, ich wollte noch etwas anders sehen. Ein kurzer Blick auf die Karte verriet mir, dass ich die Halle 10 bisher sträflichst vernachlässigt habe. Also los gehts, vorher allerdings noch eine kurze Mittagspause einlegen. Was man bei all dem nur zu schnell vernachlässigt, ist die Aufnahme von Nahrung und Wasser. Kohlehydrate sollten es sein, also mal wieder von den vergoldeten, gebratenen Nudeln. Nach der erfolgreichen Stärkung zieht es mich wieder in die Hallen…








Meine Kamera, das blöde Arschloch. So dankt es mir diese minderwertige Kreatur aus Silizium, Glas, Kuststoff und Metall. Nach der Hinteraufnahme von K.I.T.T. verabschiedet sich der Kamerakku in die Sphären jener Spieler, die auf ein „Continue“ warten müssen, bevor sie wieder loslegen dürfen. In diesem Fall gleicht dies einer mehrstündigen Aufladesitzung an der heimischen Steckdose. Aus, Ende, Finito. Danke sehr. Immerhin, das Aufgebot an Ständen hier ist nicht zu verachten. Überall gibt es Angebote und Anpreisungen. Hier gibt es nicht nur Entertainment, sondern auch Weiterbildung. Retro-Charme aus einer nicht zu kleinen Ecke mit den Konsolen und Systemen von Gestern und Vorgestern, die trotzdem nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben. Auch das hier ist ein Teil der Seele der gamescom. Es atmet und lebt.


Ein Tag geht für mich vorbei. Vorzeitig, aber nicht ohne dass ich wieder ein Stück der Seele dieser Veranstaltung verinnerlichen konnte. Aber einmal noch, einmal werde ich mich noch unter die Menschen auf die gamescom in diesem Jahr begeben, erwartet in Kürze meinen letzten Bericht von der gamescom 2012. Ich bin müde und verschwitzt, das lässt sich bei diesen Temperaturen nur schwer verhindern. Meine Füße schmerzen, die Tasche strapaziert meine Schulter auf’s Härteste und jedes Molekül in meinem Körper schreit nach Erholung. Eine Pause von dem multisensorischen Overkill, der in den 5 Entertainmenthallen der Koelnmesse zelebriert wird, als wäre es die letzte Messe ihrer Art. Kurz: es war wunderbar. Aber etwas fehlte mir noch, ich habe ihn noch nicht erlebt, den typischen Endorphin-Flash, der sich einem erst am letzten Tag offenbaren sollte.