Review – Mass Effect 2

Wir sind wieder in BioWares SciFi-Universum unterwegs.

Über den epischen Grad eines SciFi-Universums vom Schlage bekannter Marken wie z. B. „Star Trek“ muss man keine großen Worte verlieren… auch wenn sich das epische Element hauptsächlich auf den schier unglaublichen Umfang bezieht. Bioware hat den Sprung gewagt und in der Spielewelt ein Franchise etabliert, die vermutlich sämtliche Superlative für sich beanspruchen möchte. Ich habe vor kurzem endlich „Mass Effect 2“ durchspielen können. Und bin noch unentschlossen, inwiefern der Nachfolger im März 2012 das Gerüst stützt und erweitert, was die beiden ersten Teile aufgebauen haben … oder gänzlich zum Einsturz bringen könnte.

Sicherlich ist „Mass Effect“ bei nahezu allen Videospielern, die ihr Hobby ernst nehmen, zumindest ansatzweise bekannt. Wer das Vergnügen hatte, den ersten Teil auf der Xbox 360 oder auf dem PC spielen zu dürfen, wird vermutlich für viele Stunden nicht vom Bildschirm gekommen sein. Zu groß, zu lebendig war die Spielewelt, in die man geworfen wurde. Zuerst alles unbekannt und fremd, wurden Welten mit jeder im Spiel verbrachten Minute vertrauter. Bis man schließlich komplett abgetaucht ist in diesen Komplex aus Welten, Galaxien, Aliens, Menschen, Armee, Technik und einer unbekannten Bedrohung, die vermutlich so alt ist, wie die Zeit selbst. Bioware hat mit „Mass Effect“ keine Welt erschaffen, sondern ein ganzes Universum. Rassen, Politik und Gesellschaft, technologischer Status quo und Kriege wurden in Text- und Dialogform in den Spieler eingehämmert. Gelesen werden konnte viel, und wer es im ersten Teil tat wurde mit dem vermutlich ausgereiftesten Gerüst eines ganzen Universums überrascht, das sich Schritt für Schritt in den Köpfen und den Herzen der Spieler manifestierte.

Als Commander Shepard seid ihr als Anführer eures Teams mit eurem Raumschiff (Normandy) auf der Suche nach den Wesen, die dafür verantwortlich sind, dass ganze Kolonien der Menschen verschwinden. Die Story wird aus Teil 1 insofern fortgesetzt, dass ihr als PC- oder 360-Spieler euren Spielstand aus dem ersten Spiel importieren könnt, um das Spiel fortzusetzen. Anpassungen an den Charakter und seine Fähigkeiten sind möglich, aber alle Entscheidungen des Vorgängers kommen zum tragen. Mal offensichtlich, mal subtil, wobei sich die Frage stellt, inwiefern diese Entscheidungen auf den letzten Teil Einfluss haben werden. Eine Frage, dessen Antwort ich frühestens Anfang März 2012 erfahren werde, wenn der letzte Teil der „Mass Effect“ Trilogie in den Händlerregalen stehen wird.

Auch wenn das Universum riesig ist, der Erforschungsaspekt kommt leider viel zu kurz. Spielzeitstreckung über das lästige Scannen von Planeten über eine Art Minispiel ist möglich, zeugt aber trotzdem nicht von gutem Stil und taugt auf längere Sicht eher als Einschlafhilfe denn als Motivator. Areale sind deutlich abgegrenzt und leiten den Spieler meist nur Richtung Ziel. Der Run-and-Gun Aspekt inkl. dem Deckungssystem wurde mit einer Art Nachladesystem für Waffen deutlich actionreicher gemacht (adieu Endlosmunition), gleichzeitig kommt eine bessere Portion Taktik ins Spiel. Damit keine Missverständnisse auftauchen, das Ding ist immer noch ein Bastard aus Taktikshooter und RPG, und nicht alles wurde besser gemacht. Das Kampfsystem wurde unverändert gelassen und fühlt sich gerade zu Anfang so an, als wäre es komplett fehl am Platz. Das seltsame Ausrüstungsmenü zum Beispiel ist nicht zwangsläufig mein Freund und ein richtiges Inventar wäre mir eigentlich lieber gewesen. Mochte ich dem Titel vorher noch sein Mainstreaming ankreiden und seine Ausrichtung als Taktikshooter, zerstreuen sich alle Zweifel am Spiel, wenn man anfängt, sich wirklich auf das Spiel einzulassen.

Und damit meine ich nicht nur das völlige Abtauchen in die Story, sondern auch die allmählich einsetzende Bindung an die Charaktere im Spiel. Ich mag nicht erahnen, wie und ob es funktionieren kann, wenn man den ersten Teil nicht gespielt hat, aber mit der Zeit liegt einem was an den Teamkollegen… speziell dann wenn klar ist, dass vermutlich nicht alle die letzte Mission überleben werden. Sicherlich spielen die unzähligen Dialoge eine entscheidende Rolle bei der emotionalen Bindung an die Charaktere. Schade, dass das Spiel an sich dann schon wieder zu begrenzt ist, denn ab einem gewissen Punkt gibt es keine neuen Gesprächsthemen mehr. Das ist schade, aber hätte vermutlich auch den Rahmen des Machbaren gesprengt. Doch auch so sind die Gesprächsfetzen die man gelegentlich im Spiel hört, als auch die Dialoge an sich, höchst umfangreich und vielfältig. Gespräche nehmen manchmal, je nach Affinität des Spielers, verschiedene Wendungen. Das Moralsystem ist durchdacht und zieht sich durch Dialoge, Entscheidungen und manchmal auch den Kampfverlauf.

Kriege, Politik, Technologie, alles wurde im Spiel nachvollziehbar dokumentiert und ergibt nach und nach ein fast lückenloses Verzeichnis des „Mass Effect“ Universums. Wer nicht zu faul zum lesen ist und auch bei den langweiligen Scanprozessen der Planeten die Beschreibungen liest, wer jedes Stück an Informationen sammelt und alles Planeten erforscht, wer alle Missionen absolviert bekommt dafür zwar leider keine Trophy/Erfolg freigeschaltet, aber dafür mehr und mehr Informationen über ein Universum, das noch mehr zu bieten hat und mit jedem weiteren Schritt im Spiel ausgebaut wird. Und man, obwohl man nur extern als Spieler existiert und auch nur außerhalb existieren kann, in das Spiel sehr tief hineingezogen wird, wie es selten sonst bei einem Spiel der Fall war. Im Gegensatz zu „Fallout“, wo nur ein grobes Gerüst steht und mit jedem Teil der Spielereihe ein wenig mehr erzählt wird, expandiert das Mass Effect Universum mit jedem Spiel weitaus mehr und umfassender. Leider hat die Größe und Epik dieser Welt einen gewaltigen Nachteil, der eigentlich ihr Vorteil sein sollte.

Die Interaktivität der Geschichte, die verschiedenen Ereignisse und ihre Auswirkungen auf den Spieler, machen das Ganze individuell und damit unaustauschbar. Während bei „Bioshock“, egal ob man das gute oder das böse Ende erlebte, der Ausgang der Geschichte keinen Einfluss auf den Nachfolger hatte und das Gesamterlebnis „Bioshock“, ist „Mass Effect“ (als Spielereihe) in seiner Größe und dem Gesamtspielerlebnis zu individuell, als dass sich dieses Universum nach dem dritten Teil der Spielereihe noch dahingehend ergänzen ließe, dass man Fortsetzungen in irgendeiner Art schreiben könnte. Möglich wäre es, Vorgeschichten zu erzählen mit weniger Interaktivität, um den Raum nach oben offen zu lassen. Zwischengeschichten, die die Lücken auffüllen, die die Spiele offen lassen, sei es bewusst oder unbewusst. Der letzte Teil der als Trilogie angelegte Spielereihe wird ein Denkmal setzen… und gleichzeitig eine Spielefortsetzung vermutlich für alle Zeit unmöglich machen. Das ist einerseits eine hohe Verpflichtung für den Abschluss des Spiels, andererseits eine enorme Verantwortung. Denn die Spielereihe hat mittlerweile eine ganze Menge Fans. Andererseits existiert außerhalb der Spiele auch Material um die Story des Spiels, so dass man zumindest flexibler an das Gerüst herangehen kann… fragt sich nur wieviel „Mass Effect“ dann noch übrig ist und ob man sich dann als Publisher dieser Sachen nicht dann den Vorwurf der Geldmacherer gefallen lassen muss.

„Mass Effect 2“ ist stellenweise weniger Rollenspiel als der Vorgänger, dafür um so mehr interaktives SciFi-Epos, das zum Verweilen und Entdecken einlädt und von der Qualität der Erzählung Hollywoodstandards hinter sich zurück lässt. Daran tun auch die actionbetonten Kampfeinlagen im Taktikshooter-Stil nichts, die schon nach kurzer Eingewöhnung nicht mehr deplaziert wirken, sondern sich stimmig in das Gesamtbild einfügen. Löblich sei hier noch zu erwähnen, dass viele Fehler, die mich im ersten Teil noch gestört haben, im zweiten Teil nicht mehr vorhanden sind. Kein Spiel, sondern ein Universum… wenn man sich darauf einlässt. Zurück zu meinem persönlichen Spielende. Nach meinem ersten Versuch der finalen Mission (mit einigen Fehlentscheidungen und Verlusten) habe ich es ein weiteres Mal versucht und alle meine Schützlinge diesmal sicher duch das Spiel gebracht, so dass ich jeden einzelnen hoffentlich Anfang März in der letzten Schlacht wiedersehen mag. Jeder spielt „Mass Effect“ anders und damit gibt es auch sehr viele unterschiedliche Arten, dieses Universum zu erleben. Hoffen wir, dass der nächste Ausflug in fremde Welten dem Abschluss der Trilogie würdig sein wird.

– Name und Systeme:
Mass Effect 2 (Xbox 360, PC, PlayStation 3)

– Spieleranzahl:
1

– Mehrkosten:
DLC-Zusatzmissionen zu variablen Preisen, Cerberus-Paket für Zusatzmissionen und -Charaktere ca. 15 € (quasi-Onlinepass, der Downloadcode liegt neuen Spielen bei), Kostüme- und Waffenpakete zu variablen Preisen, Interaktiver Comic („Genesis“) um die wichtigsten Entscheidungen aus dem Vorgänger für „Mass Effect 2“ treffen zu können

– gelungen:
Gameplay, Atmosphäre, Charaktere, Umfang der Story, Spielstandimport des Vorgängers auf PC und 360

– weniger/nicht gelungen:
Scanprozeduren unnötige Spielzeitstreckung, vielleicht zu wenig Rollenspielaspekte

– hätte besser sein können:
Inventarlösung ist ein schlechter Witz, deutsche Vertonung verbesserungsfähig

– Kaufempfehlung für:
SciFi-Fans, Anhänger von Taktikshootern und Rollenspielen, Leser

Bitte beachten!
Dieses Spielereview unterliegt ausschließlich meiner persönlichen Betrachtungsweise und ist zu keinem Zeitpunkt dem Leser Objektivität schuldig. Die Eindrücke und Erfahrungen während des Spielens können, abhängig vom Gemütszustand der spielenden Personen, Fanboyallüren, verwendeter Technik und anderen ggfs. relevanten Faktoren stellenweise erheblich variieren. Dieser Artikel stellt keine Werbung im eigentlichen Sinne dar, sondern spiegelt lediglich meine eigene Betrachtung des Spiels wieder. Das Lesen dieses Artikels ist für alle Altersgruppen gestattet, für den Erwerb des Spiels gelten die jeweils gültigen nationalen Jugendschutzgesetze.

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