Abwärtsalbtraum Hartz IV, und wie er mich für immer verändert hat…

Man soll es nicht meinen, aber es gab eine Zeit (gar nicht so lange her), da war mein Kopf gefüllt mit Chaos. Wirklich. Buchstäblich, wahrhaftig, reines Chaos.

Und warum? Sagen wir mal, es lief nicht zwangsläufig so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und es begann, wie die meisten Dinge im Leben, eher harmlos. Mit einem Käsebrötchen, um genau zu sein.

Dieses Käsebrötchen ist kein Symbol, und auch keine Metapher. Es war ein nur zu reales Käsebrötchen am Kiosk an der Ecke, quasi direkt neben der Berufsschule. Während einer schönen Frühstückspause kam ich auf den gar glorreichen Gedanken, ich könnte doch (rein theoretisch) nach der Ausbildung bei dem Betrieb in Köln bleiben. Meine Noten waren gut, meine unentschuldigten Fehlzeiten nicht existent, meine Krankheitsresistenz geradezu legendär. Vielleicht sollte es nicht für die Ewigkeit werden, wobei mir das zu diesem Zeitpunkt noch nichts ausgemacht hätte. Nach einigen mehr oder weniger wagen Andeutungen rechtzeitig vorher kam dann kurz vor Ende meiner Ausbildung die ernüchternde Erkenntnis: der Betrieb war offensichtlich weder Willens, noch in der Lage, mich als vollständig ausgebildeten Bürokaufmann weiterhin zu beschäftigen. Zumindest nicht zu einem akzeptablen Gehalt, was zum Überleben, Auszug aus dem Elternhaus, Bildung eines eigenen Hausstandes und Wahrung eines ansatzweise vernünftigen Lebensstandards reichen würde.

Ich muss an dieser Stelle nochmal auf den damaligen status quo eingehen. Die Ausbildung wurde mit Mitteln des Landes im Rahmen eines Sonderprogramms finanziert. Das, was ich brutto(=netto) Ende des Monats auf dem Konto hatte entsprach in etwa (nach Berechnung des neuen geltenden Satzes) 23 € unter dem, was mir als Hartz IV Empfänger hätte zustehen dürfen… und das war NACH dem Vergütungs-Upgrade in der Mitte des 2. Ausbildungsjahres um 30 €. Eine tolle Sache. Zumal ich nichts von meinen Kosten für Bücher, Fahrkarten, Material etc. hätte rückfordern können, da keine Lohnsteuer anfiel. Ich blieb also auf den Kosten sitzen. Hätte ich nicht bei meinen Eltern wohnen können, hätte ich das mit der Ausbildung knicken können. So bin ich dann aus der Ausbildung hinaus mit sehr gutem Abschluss quasi auf der Straße gelandet… aber gleich am ersten Tag, in dem man sich durch diesen Behördenkrieg wälzt, wurde mir klar, dass Arbeitslosengeld I alleine zu wenig ist. Abschluss hin oder her, ich musste aufstockend Arbeitslosengeld II aka Hartz IV beantragen. Und mit diesem Moment sollte die ganze Kacke erst so richtig anfangen zu dampfen…

Termine wahrnehmen ist eine Sache. Sich durch Formulare und noch mehr Formulare quälen, wo man als normaler Mensch, der sich noch NIE mit solchen Sachen auseinander gesetzt hat, kaum durchblickt, eine ganz andere. Eine Woche Zeit bis Abgabe des Antrags mit allen Zusatzdokumenten? Jede einzelne Sekunde davon hat mein Schädel geraucht und über diese bekackten Anträge gebrütet. Und was die von einem wissen wollen. Das war kein Ausfüllen der Anträge, das war ein Striptease… vor einer Personengruppe, die ich nicht kenne und nie deren Geischter gesehen habe. Und steckt man erstmal in der Scheisse namens Hartz IV drin, aufstockend bezogen oder nicht, dann kommt das volle Programm. Tabelle zum Ausfüllen der aktuellen bewerbungen: fristgerecht einreichen, sonst Leistungskürzung. Termine für Vorsprachen mit dem Vermittler, u.a. auch um neue Angebote zu durchfosten: erscheinen, sonst Leistungskürzung. Erreichbar sein, sonst Leistungskürzung. Jede mögliche zumutbare Beschäftigung annehmen (egal, wie miserabel der Lohn ist), sonst Leistungsentzug. Na? Dämmerts? Wenn man mal davon absieht, dass diverse Leute aus der Abteilung für Leistungen die Opfer Menschen schlichtweg anlügen, Informationen vorenthalten und durch ihre geschickte Art einschüchtern, arbeiten in diesem Laden auch großartige Menschen, die den Arbeitslosen mit Rat und Tat zur Seite stehen, vernünftige Sachen vermitteln, Informationen herausgeben statt sie zu verschweigen und einem insgesamt wieder das Gefühl geben, ein Mensch zu sein.

Das Gefühl hält auch nur leider wieder solange an, bis der nächste Brief vom Amt kommt wegen der Verlängerung der Leistung, oder die nächste Absage im Briefkasten. In den ersten Wochen ist man voller Elan und Tatendrang, macht die Bewerbungstabelle mit ca. 5 Stück pro Tag voll. Mit der Zeit ist das Gegenteil der Fall, man arbeitet nur sein Pflichtprogramm ab und versucht, den Tag so gut es geht zu überstehen. Speziell diese Tiefphasen sind besonders tückisch, kommt man doch weniger leicht wieder raus, als rein. Man redet sich ein, man bekommt sowieso nichts. Stagniert und und resigniert, macht nur das, was zu machen ist, um nicht am Ende ganz ohne was dazustehen. Und gibt sich jeden Tag, Stück für Stück, immer mehr auf. Das Bild, was unter anderem von Hetzpropagandasender RTL und Konsorten gezeichnet wird, ist da mehr Wunschdenken als Realität. Klar, nicht zu arbeiten und Geld zu bekommen scheint zunächst verlockend. Und es gibt bestimmt auch die ganz Wenigen, die auch wirklich nicht arbeiten wollen. Was dann wirklich mies ist, wenn dieses verzerrte Bild von Hartz IV Empfängern so öffentlich breitgetreten wird, dass man nicht in der Lage ist, seine Chancen zu nutzen. Beispiel? Wohnungssuche! Der eine oder andere wird sich erinnern. Ich hatte eine wirklich schöne Wohnung in Aussicht, aber im Gegensatz zu seiner Frau weigerte sich der Vermieter mit mir den Mietvertrag einzugehen. Der Grund? RTL und Konsorten. Der geringe Satz an Menschen, die ihre Vermieter um die Miete prellen. Das Bild, das vom kettenrauchenden HD-TV Besitzer mit starkem Alkoholismus und der nahezu vollständigen Abwesenheit von Bildung gezeichnet wird, der auf Kosten des Staates lebt und sich einen Dreck um seine Verpflichtungen schert. Oder das kaum merkliches Muskelzucken im Gesicht, die minimal erhobene Augenbraue, die mit minimalen Nuancen veränderte Stimmlage, erwähnte ich in einem Vorstellungsgespräch, dass ich zur Zeit Leistungen vom Amt bezogen habe. Ihr netten Personaldienstleister, Human-Ressources Leute (die nur zu oft vergessen, dass die Materie ihres Berufs Menschen sind und keine x-beliebigen Verbrauchsgüter) und Fachstümper, glaubt ihr, ihr könnt mir was vormachen? Wo soll man sich also verbessern, wenn einem kaum Raum dazu gegeben wird? Wo wohnen, was arbeiten?

Bevor jetzt jemand das Wort „Ein-Euro-Job“ in den Raum wirft, möchte ich euch mal ganz grob und sehr exemplarisch klarmachen, was es damit auf sich hat. Da muss jemand, um nicht komplett leer dazustehen, eine Arbeit annehmen (und es ist nahezu egal, was für eine Arbeit), arbeitet mehr als alle anderen Kollegen und bekommt am wenigsten Geld. Fairness? Ich nenne das Sklaverei Reloaded. Was eine geringfügige Beschäftigung mit meinem ehem. Chef (Ausbildung) zu tun hat, darauf möchte ich an dieser Stelle lieber nicht allzu ausführlich eingehen. Sagen wir nur, ich habe mir noch den allerletzten Rest an Würde bewahrt, der mir in dieser Zeit noch geblieben ist. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich in das Ein-Euro-Job Schema hätte fallen sollen, wurden diese quasi abgeschafft. Das, was ich dann machen durfte (und was rückblickend für mich die vielleicht beste Zeit während meiner Arbeitslosigkeit war), war das Vermittlungsprogramm hier in Opladen.

Von Morgens bis Mittag in der kleinen geselligen Gruppe Bewerbungen anfertigen, Stellen recherchieren, gegenseitig helfen, ein wenig Beratung, Training etc… ich habe während der Monate jede Menge gelernt. Auch, nicht aufzugeben und weiter zu machen, trotz aller Rückschlage. Während meiner Zeit in der Vermittlungsmaßnahme (die auch dazu gedacht ist, die Statistik ein wenig schön zu färben, denn wer in einer Vermittlungsmaßnahme ist, taucht nicht in der Arbeitslosenliste auf… auch wenn er währenddessen noch Anspruch auf Leistungen hat und diese bezieht) habe ich zwar keine Arbeit gefunden, aber gar nicht mal so lange später hat Frau W. (Name ist dem Paladin bekannt) es geschafft und einen Kontakt zu einer wirklich hervorragenden Zeitarbeitsfirma aufbauen können. Das, was folgte, ist mittlerweile bekannt. Ich bin seit April aus der Arbeitslosigkeit raus. 14 Monate waren mal weniger, mal mehr ziemlich lange. Rückblickend eine Zeit, in der ich mich vertändert habe. Ich bin durch viele Tiefphasen gegangen, Depressionen und Selbstmitleid, Resignierung und Aufgabe. Und wieder gelernt aufzustehen. Einzufordern, was mir zusteht. Mich nicht für blöd verkaufen lassen. Für das zu kämpfen, was ich will. Fragen zu stellen, Antworten zu fordern. Und die geeigneten Mittel und Wege finden, gegen Entscheidungen, Personen oder Umstände anzugehen, die einem das Leben schwer machen.

Ich habe meine eigenen Schwächen und Fehler erkannt. Habe erkannt, zu was ich in der Lage bin und zu was nicht. Ich kann leider nur für mich sprechen, aber ich hoffe, dass jeder, der sich momentan in dieser Situation namens Hartz IV befindet, wieder die Kraft findet, aus dieser Kacke rauszukommen. Es geht nur eine begrenzte Zeit gut, danach beginnt der unausweichliche Pfad der Selbstzerstörung. Ich habe gelernt, wie es ist, relativ weit unten zu landen. Ich bin rausgekommen. Andere Leute haben das Glück nicht. Ich kann nur an die Leute in den entsprechenden Positionen appellieren, nicht nur auf das offensichtliche zu achten, sich nicht von den Hetzmedien beeinflussen lassen, sondern mit den Menschen zu reden und herauszufinden, wozu diese in der Lage sind. Weniger Pauschalisierung, mehr Menschlichkeit.

Es war mir ein persönliches Anliegen, das alles mal loszuwerden und niederzuschreiben. Und es öffentlich zu machen. Verehrte Leser, vielen herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit.